Mit diesem schmalen Buch zeichnet Simone Scharbert ein poetisches Portrait der Schwester von Henry und William James: Alice James (1848 – 1892).
Die hoch intelligente Alice durfte ihre Begabungen nicht ausleben, während zwei ihrer insgesamt vier Brüder sehr berühmt wurden: Henry James, Romancier und William James, Philosoph und Psychologe. Ihr dominanter Vater, der ihre Brüder auf die besten Schulen und Universitäten schickte, war überzeugt, dass Bildung der natürlichen Würde und Aufgabe der Frau nur schaden könne.

Die als Lyrikerin bekannte Simone Scharbert schreibt eine „anrufung“, so der Untertitel. In einem Interview erklärt die Autorin, dass ihr diese formale Wahl eine natürliche Distanz zu Alice verschaffe. Ein lyrisches Ich wäre ihr zu pathetisch geworden. So geht sie literarisch den Leidensweg von Alice als vertraute Bekannte mit.
Die chronologisch angeordneten kurzen Textabschnitte  skizzieren wesentliche Momente und Stationen im Leben von Alice. Simone Scharberts der Lyrik verhaftete Sprache ist zauberhaft verdichtet– und die Kleinschreibung unterstreicht diesen besonderen Charakter.
Vier Jahre vor Alices Tod entwickelt sich eine tiefe Beziehung zwischen ihr und Katharine P. Loring. Sie hatten sich bei der ehrenamtlichen Arbeit für eine Frauenbildungsorganisation, der Society to encourage studies at home kennengelernt.
Gemeinsam ließen sie sich in London nieder, wo Alice großen Anteil am politischen und geistigen Leben ihrer Zeit nahm. Sie schrieb Tagebuch mit persönlichen Reflexionen und scharfsinnigen Kommentaren. Der Freundin ist es zu verdanken, dass das „First Journal“ erhalten blieb.
Simone Scharbert ist es gelungen, uns heutige Leser*innen nicht nur an Anfänge der Frauenbewegung zu erinnern, sondern auch zum Weitergehen dieses Weges zu ermutigen

edition Azur, 2019
ISBN 978-3-942375-42-9
20,00 €